Stand der Mobilisierung gegen G8 und neue Sicherheitsgesetze
18.01.2007 | Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive
Die Mobilisierung in Deutschland und auch international läuft bereits auf Hochtouren, es gab zahlreiche Vorbereitungstreffen und Konferenzen, verschiedene Bündnisse zur Mobilisierung haben sich gebildet. Ein Aktionsfahrplan steht bereits weitgehend fest. Auch die Sicherheitsmaßnahmen des Polizeiapparates und die Repression wegen der bis zu 100 000 zu erwartenden DemonstrantInnen sind in vollem Gange. Hier ein Überblick über den Stand der Mobilisierung und die neuen Sicherheitsgesetze in Mecklenburg-Vorpommern.
Ein guter Überblick über den Stand der Mobilisierung wurde auf Indymedia in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, neben anderen Antirepressionsgruppen hat die Rote Hilfe e.V. begonnen, Informationen und Tips und Tricks zum Umgang mit der Repression zu veröffentlichen.




Smash G8 2007 in Deutschland!
31.12.2006 | Indymedia SchweizEinleitung
Der Anfang ist gemacht
Im Oktober 2005 gab es in der BRD die ersten großen Treffen zur Vorbereitung der Anti-G8-Proteste, unter anderem gab es Arbeitsgruppen beim Europäischen Sozialforum oder das erste linksradikale Dissent!-Treffen in Hamburg. Danach folgten weitere Treffen des Dissent! in Berlin und später die bundesweiten Treffen (Aktionskonferenz) von der Interventionistischen Linken initiiert in Rostock auch mit Beteiligung von Attac und NGO's. Neben diesen Spektren entstand zeitgleich das Anti G8 Bündnis für eine Revolutionäre Perspektive, ein Bündnis welches sich wie einige andere sowohl an den Dissent!-Treffen als auch an der Rostocker Konferenz beteiligt.Neben den bundesweiten Bündnissen bildeten sich in zahlreichen Städten auch lokale Anti-G8-Gruppen und Zusammenschlüsse, die sich dem einen oder anderen bundesweiten Bündnis zugehörig fühlen.
Zusammensetzung der Bündnisse
Auf den ersten bundesweiten Treffen kristallisierten sich schnell die verschiedenen bundesweiten Zusammenschlüsse/Strömungen der Anti-G8-Mobilisierung heraus:Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive
www.antiG8.tk bundesweites Bündnis

Das Anti-G8-Bündnis für eine Revolutionäre Perspektive ist ein Zusammenschluss von verschiedenen linksradikalen Gruppen, von AnarchistInnen, TrotzkistInnen, KommunistInnen und Autonomen mit internationalistischer Ausrichtung. Auch mit dem Motto "Stop G8. Imperialismus. Kapitalismus. Krieg." will das Bündnis eine klare antikapitalistische und internationalistische sowie antiimperialistische Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm organisieren. Das Bündnis tritt ein für eine gemeinsame Großdemonstration der gesamten Linken sowie einen Linksradikalen und Internationalistischen Block und ruft zu Aktionstagen und Blockaden gegen den G8-Gipfel auf. Das Bündnis will die Koordinierung zusammen mit anderen Bündnissen und Gruppen, die eine linksradikale, antikapitalistische und internationalstische Ausrichtung der Proteste forcieren wollen, wie zum Beispiel dem Anti G8 Bündnis gegen Imperialismus und Faschismus (www.g8versenken.de


Dissent! Netzwerk
www.dissentnetzwerk.org bundesweites Netzwerk

www.hamburg.dissentnetzwerk.org Dissent! Hamburg

Das Dissent! Netzwerk hatte eine schwierige Entstehungsphase in den ersten Treffen, in denen darüber diskutiert wurde, welche Formen der hierarchiefreien Abstimmung es geben kann, damit keine Klientel-Bildung entsteht, aber trotzdem effektiv eine Mobilisierung stattfinden kann. Im Dissent! Spektrum sind ebenfalls linksradikale, anarchistische und autonome Gruppen vernetzt und verschiedene lokale Zusammenhänge assoziiert. Unter anderem organisierte das Dissent!-Netzwerk die ersten großen Treffen der Anti-G8-Vorbereitung und ein erstes Anti-G8-Camp (www.camp06.dissentnetwork.org

Interventionistische Linke
www.g8-2007.de bundesweites Bündnis

Die Interventionistischen Linke ist ein bundesweites Bündnis von Antifaschistischen Gruppen und InternationalistInnen, die für eine breite Zusammenarbeit der gesamten Linken bis hin zu Attac, Kirchengruppen und verschiedenen fortschrittlichen NGOs sowie der PDS eintreten. Inhaltlich spiegelte sich diese Zusammensetzung vor allem auch auf den von der Interventionistischen Linken in Zusammenarbeit mit Attac, NGOs und PDS organisierten bundesweiten Aktionskonferenzen (www.heiligendamm2007.de

Gewerkschaften und Parteien
Homepage sozialistische Partei PDS

Homepage Gewerkschaftsjugend des DGB

Homepage Grüne Jugend

Vor allem die Gewerkschaftsjugend will sich auch an den Protesten der G8-GegnerInnen wie der Großdemo, einem eigenen angemeldeten Camp gegen G8 wie auch an Blockaden beteiligen. Auch aus den Parteien wie den Grünen oder der PDS wird es unterschiedlichen Protest geben, größtenteils mit reformistischer Ausrichtung. Innerhalb der PDS gibt es verschiedene Interessensgruppen, die sich nach Generation oder Haltung gegenüber der Regierungsbeteiligung von Teilen der PDS ausdifferenzieren. Einige werden auch zu den gesamten Protestaktionen aufrufen, teils wird es die PDS sein, die eine Ermöglichung von größeren Räumen in der Stadt oder Umgebung ermöglichen kann bzw. zur Finanzierung größerer Mobilisierungsaktionen in der Lage ist.
Attac / NGO-Plattform / Kirchen
Homepage globalisierungskritische Organisation

Homepage NGO-Plattform

Homepage deine Stimme gegen Armut

Zentrale Mobilisierungspunkte von Attac sowie der NGO-Plattform ist unter anderem der geplante Gegengipfel/Alternativgipfel in Rostock, der in den Tagen nach der Großdemonstration stattfinden soll, mit verschiedenen globalisierungskritischen Inhalten. Themen wie Entschuldung, Genpatente, usw. werden eine große Rolle spielen. Die NGOs stehen für eine eher reformistische Ausrichtung, sie wollen eine nach ihrem Verständnis breite bürgernahe Mobilisierung.
Bei den NGOs angesiedelt ist auch die Geldorf-Initiative ähnlich Glenneagles, mit einem großen Konzert während des G8-Gipfels in der Region von "Deine Stimme gegen Armut" bei dem unter anderem der in Deutschland für seine karitative Haltung bekannte Rockschlager-Sänger Grönemeier auftreten wird.
Inhaltliche und praktische Bestimmung
Unterschiedliche Diskussionspapiere und Aufrufe der verschiedenen Spektren: hier

Die Differenzierung in verschiedene Bündnisse von linksradikal bis reformistisch zeigt die verschiedenen Diskussionslinien auf, die sich bereits bei den bundesweiten Dissent!-Treffen widerspiegelten, aber klar und teils sehr gegensätzlich auf den bundesweiten Rostocker Aktionskonferenzen zum Vorschein traten.
Während es bei den Dissent!-Treffen noch darum ging, zum Beispiel in den ersten Treffen über Abstimmungsmodalitäten zu diskutieren, und in teils konstruktiven Diskussionsrunden über eine Ausrichtung der linksradikalen Mobilsierung zum Beispiel klar gegen Kapitalismus und Imperialismus oder für "Teilbereichs"-Mobilisierungen wie MigrantInnen, Bombodrom usw. ging, oder auch um den Begriff "Internationalismus" an sich zum Beispiel im Verhältnis zu Befreiungsbewegungen oder gegen Krieg waren es auf den Rostocker Treffen schon fundamentalere Inhalte vor allem auch praktische Widersprüche.
Beim Dissent!-Netzwerk stellte sich letztendlich heraus, dass es als Mobilisierungs-Netzwerk der verschiedenen linksradikalen oder anarchistischen Zusammenhänge verstanden werden kann, die im Rahmen von Dissent! zu den verschiedenen Themen Migration, Genpatente, Krieg möglichst aufeinander bezogen mobilisieren. Als Schwerpunkt der Aktivitäten kristallisierten sich die dezentralen Blockaden oder Demos heraus.
Die Diskussionen und Arbeitsgruppen und Plenas auf der Arbeitskonferenz in Rostock zeigten aber deutlich, dass es noch zahlreiche teils gegeneinander stehende Auffassungen zur Mobilisierung und zu den Aktivitäten gegen den G8 gibt und auch im Juni 2007 noch geben wird, auch inhaltlich wird es kein gemeinsames Motto aller an der Mobilisierung Beteiligten geben.
Inhaltlich reichen die Unterschiede von einer klaren antikapitalistischen und internationalistischen Haltung (Anti G8 Bündnis für eine Revolutionäre Perspektive) bis hin zu stark reformistischen "globalisierungskritischen" Ansätzen. An der Diskussion über das Motto "Für Globale Rechte", eingebracht von Gruppen der Migrationsbewegung und von einigen Autonomen wurden aber auch Unterschiede deutlich, in der generellen Ausrichtung gegen den G8-Gipfel. Während Teile der linksradikalen Gruppen (AntiG8-Bündnis oder Teile von Dissent!) für eine radikale Haltung gegen den G8-Gipfel eintreten bzw. dafür, den Gipfel auch massiv stören zu können, zeigen sich manche Teile der Radikalen Linken (Teile von Dissent und Interventionistische Linke) bereit dazu einige Zugeständnisse auch an Attac oder den NGOs zu machen, damit diese sich auch an den Protesten auf der Straße beteiligen. Ob dieses Konzept aber so aufgehen wird, ist teils fraglich, da die Führungsspitze von Attac oder die Mehrheit der NGOs vor allem für einen Alternativgipfel eintreten, oder für einen Sternmarsch am Tag der Großdemonstration.
Die inhaltlichen Unterschiede zeigten sich dann deutlich an der Diskussion über die praktische Ausrichtung von zum Beispiel der Großdemonstration am 2. Juni (Samstag) vor dem G8-Gipfel oder dem Gegengipfel/Alternativgipfel.
Während die einen eine Art "Sternmarsch" mit einem Auftakt vom Hauptbahnhof in der Innenstadt in Rostock und einem Auftakt vom Busbahnhof außerhalb von Rostock mit Abschlusskundgebung auf einem Gewerbegebiet mit Autobahnanbindung plädierten, so dass sich die Demozüge nach Zufallsprinzip zusammensetzen würden, plädierten die Gruppen zum Beispiel des Anti-G8-Bündnis für eine Revolutionäre Perspektive für eine gemeinsame Großdemonstration in der Innenstadt von Rostock nähe Hauptbahnhof, die es ermöglicht, dass es verschiedene Blöcke mit unterschiedlichen Ausrichtungen hintereinander her geben kann, so dass alle Strömungen gleichberechtigt sich präsentieren können, als auch den Gruppen, Parteien und Zusammenhängen aus anderen Ländern ermöglicht, an einem Wochenende an dem Zentralen Ereignis sichtbar teilzunehmen.
Teile von NGOs oder von Attac befürchten jedoch bei einer zentralen gemeinsamen Demonstration, dass die mit der Polizei ausgehandelten Auflagen (zum Beispiel die beliebte deutsche Auflage "keine Seitentransparente") nicht erfüllt werden könnten oder noch schlimmer, daß es zu Auseinandersetzungen in der Innenstadt kommen könnte.
Ein weiterer Dissens besteht bei der Ausrichtung des Alternativgipfels, dessen Planung bislang beinahe vollständig in der Hand von Attac und NGOs liegt. Während bereits bei den ersten großen bundesweiten Dissent!-Treffen darüber diskutiert wurde, dass es nicht zu einer Spaltung der Protestbewegung im Juni kommen darf, indem parallel zu den geplanten Blockadeaktionen in der Region um Heiligendamm oder in Rostock ein Gegengipfel stattfindet, kristallisiert sich dies jedoch heraus: es wird ein Alternativgipfel bin bislang überwiegend von Attac und Co bestimmten Themen zum größten Teil parallel zu geplanten Aktionstagen und Blockaden stattfinden.
Daher haben Teile von Dissent! wie zum Beispiel Dissent! Hamburg zu einem weiteren Treffen aufgerufen, um einen linksradikalen internationalistischen Gegengipfel am Tag der Großdemonstration und/oder am Tag danach zu planen, um Foren für eine fundamentale Delegitimierung des Gipfels zu schaffen sowie ein Forum für alle Gäste aus anderen Ländern, die nicht alle die ganze Woche über in Deutschland bleiben können. Bislang war für den Tag der Großdemo "nur" ein Abschlusskonzert vorgesehen.
Obwohl die Protest-Termine bereits feststehen, kann noch nicht davon die Rede sein, dass die inhaltliche und praktische Ausrichtung bereits festgeklopft ist, eine Kritik zur Vorgehensweise der Entscheidungsfindung auf den Aktionskonferenzen in Rostock wurde als Nachbereitung von der im Anti-G8-Bündnis für eine Revolutionäre Perspektive organisierten Gruppe Arbeitermacht mit dem Titel "Entschieden wird im kleinen Kreis" formuliert.
Mobilisierung und Presse im Vorfeld
Die Mobilisierung und Thematisierung in der BRD gegen den G8 Gipfel laufen auf Hochtouren, wie auch die zahlreichen Homepages und Diskussionspapiere belegen. Auch in anderen Ländern gibt es bereits eine anlaufende Mobilisierung. Auf beinahe allen Demonstrationen in der BRD wird sich zur Zeit auf den Protest gegen den Gipfel 2007 bezogen oder Redebeiträge zum Thema verlesen. So werden unter anderem die demnächst stattfindenden Groß-Demonstrationen, sei es gegen die Tagung des Word Economic Forum in Davos/Schweiz, die Nato-Sicherheitskonferenz in München, oder den Revolutionären 1. Mai Demonstrationen, sich stark auf die G8-Proteste beziehen. Es finden zahlreiche Informationsveranstaltungen bundesweit statt sowie "Info-Touren" durch das ganze Bundesgebiet.(WEF Davos: www.smashwef.ch


In der Presse wird von der Polizei bereits gegen den Protest gehetzt und Ausschreitungen prognostiziert, da es bereits jetzt Anschläge gegen Wohnungen und Gebäude von Repräsentanten der Politik und Wirtschaft wie in Hamburg oder in der Region Berlin aber auch bundesweit gibt, die sich nicht nur gegen Krieg und Kolonialismus wenden, sondern auch auf die Mobilisierung gegen das Treffen der G8 in Deutschland 2007 beziehen, oder Farbeier und Steinwürfe auf Hotelanlagen der G8 wie in Heiligendamm. Angeblich seien sogar Hotelbesitzer durch anonyme Anschreiben bedroht worden, weil sie G8-Funktionsträger beherbergen würden. (Artikel 1


Repression
Schon längst haben die Sicherheitsorgane mit ihren Vorbereitungen begonnen, so soll aufgrund der angeblichen Gefährdungslage ein 2 Meter hoher Zaune mehrere Kilometer um den Tagungsort herum gebaut werden, der sicherheitsstrategisch am Meer gelegen und von weiten Feldern umgeben ist. An zahlreichen Wegen und Straßen sollen Checkpoints errichtet werden und es gibt eine Art Ausgangssperre für Touristen. Die Kosten für den Gipfel vor allem auch aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen werden über 90 Millionen Euro betragen, und auch die Zusammenarbeit mit internationalen Polizeibehörden soll laufen, wie zum Beispiel mit Interpol, oder mit zivilen Polizeigruppen aus anderen Ländern.Auf die lokalen Behörden wird Druck ausgeübt, damit es kein größeres Camp in der Nähe des Sicherheitszaunes gibt und es ist mit zahlreichen Auflagen für die Großdemonstration oder die dezentralen Demonstrationen und Kundgebungen zu rechnen.
(Beiträge auf Gipfelsoli.org


Daher ist die Linke seit einiger Zeit dabei in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe eine zusammenarbeitende Antirepressionsstruktur zu schaffen. So wird es während der Protesttage und bei den Convergence Centern Antirepressionsratgeber auch für Menschen aus anderen Ländern geben, Anwälte und ein zu schaffender Ermittlungsausschuss der telefonisch rund um die Uhr zu erreichen sein soll sind dabei sich zu koordinieren und es wird im Vorfeld zahlreiche Antirepressionsveranstaltungen geben.
Aktionsfahrplan gegen G8
Dienstag, 1. Mai:Revolutionäre 1. Mai Demonstrationen bundesweit
ab 26. Mai:
Convergence Center Hamburg, eventuell Berlin
Anfang Juni:
"Block Germany", Dezentrale Blockaden all over Deutschland
Freitag, 1. Juni:
Eröffnung des Medienzentrums/Convergence Center in Rostock
1. Juni: Bombodrom, Freie Heide, "Vorläufige Neubesiedlung des Geländes"; Camp und Start Karawane nach Heiligendamm, evtl. mit Euromärschen
Samstag, 2. Juni:
GROSSDEMO in der Innenstadt von Rostock, Hauptbahnhof
Beginn von Anti-G8-Camp(s), Internationalistische Konferenz
Sonntag, 3. Juni:
Aktivitäten in Rostock, Internationalistische Konferenz
Montag, 4. Juni:
Großer Aktionstag zu Migration
Camp
Dienstag, 5. Juni:
Großer Aktionstag zu Krieg / Blockade Flughafen Rostock-Laage
wahrscheinliche Ankunft der G8-Staatschefs Beginn des Alternativgipfels am Nachmittag
CAMP
Mittwoch, 6. Juni:
G8-Gipfel, 1. Tag
Blockade-Tag an verschiedenen Orten
Alternativgipfel
Camp
Donnerstag, 7. Juni:
G8-Gipfel, 2. Tag
Gegen-Gipfel bis mittags
Blockade-Aktionen
Sternmarsch nach Heiligendamm, von Nienhagen, Kühlungsborn, Bad Doberan, Kröpelin (www.dissentnetzwerk.org)
Abschlussdemonstration
Freitag, 8. Juni:
G8-Gipfel, 3. Tag: Abschlusserklärung
Ende Camp
Mecklenburg-Vorpommern begrüßt den G8-Protest ... mit einem verschärften neuen Polizeigesetz
15.08.2006 | Rote Hilfe e.V. OG GreifswaldSeit Juni 2006 gibt es eine Novellierung des bisherigen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) in Mecklenburg-Vorpommern. Eingebracht von SPD und Linkspartei.PDS wurden diese Gesetzesverschärfungen im Landesparlament in trauter Eintracht mit der hiesigen CDU verabschiedet. Die Neuerungen im SOG lehnen sich eng an das Hamburger Polizeigesetz an, das zu recht als eines der zur Zeit schärfsten und demokratiefeindlichsten Polizeigesetze in Deutschland gelten darf. Während es in Hamburg jedoch zu massivem öffentlichen Protest gegen das von der dortigen Mitte-Rechts-Regierung verabschiedete Gesetz kam, blieb es im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern bei der Änderung des SOG wie leider so oft still.
Daß das SOG noch so kurz vor einer Landtagswahl im Schweinsgalopp durchs Parlament gejagt wurde, hat seinen Hauptgrund offenbar im kommenden G8-Treffen 2007. Mit den durch das novellierte SOG legitimierten neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten soll die Protestbewegung gegen den Gipfel polizeistaatlich abgewürgt und sollen Grundrechte weiter eingeschränkt werden. Erste Probeläufe polizeistaatlicher Muskelschau am 1.Mai 2006 in Rostock (damals noch unter dem alten SOG) und zum Bush-Besuch in Stralsund am 13. Juli 2006 (nach neuem SOG) haben gezeigt, wohin die Reise gehen soll: Rote Zonen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, erdrückende Polizeipräsenz (je 10 000 bis 12 000 PolizistInnen), Erprobung von Großkesseln und Massenfestnahmen, willkürliche Platzverweise und Aufenthaltsverbote ...
Ein Grund mehr, daß sich alle KritikerInnen der G8, die sich zum Protest nach Mecklenburg-Vorpommern aufmachen, vorab über das neue SOG im nordöstlichsten Bundesland informieren und entsprechend die neuen polizeilichen Möglichkeiten in ihre Aktionsplanungen mit einbeziehen sollten.
Wir wollen im folgenden kurz beschreiben, was euch in Mecklenburg-Vorpommern polizeistaatlicherseits erwarten kann. Aber nicht alles, was rechtlich oder technisch möglich wäre, muß auch so eingesetzt werden. Es handelt sich, wie bei allem um ein Spiel der Kräfte und der öffentlichen Meinung. Es soll sich also bitte niemand von den polizeirechtlichen Möglichkeiten einschüchtern lassen. Die vergangenen Gipfel in Genua, Evian oder Gleneagles haben gezeigt, daß trotz martialischer Polizeiaktionen erfolgreiche Protestaktionen möglich waren.
Neben diesem speziell zum SOG in Mecklenburg-Vorpommern erstellten Text legen wir euch den kostenlosen Rote Hilfe-Klassiker "Was tun wenns brennt" sehr ans Herz, in dem allgemeine Rechtshilfetipps für Demos gegeben werden. Erhältlich bei jeder Roten Hilfe-Ortsgruppe oder (gegen Portokosten) über den Rote Hilfe-Literaturvertrieb, Postfach 6444, 24125 Kiel.
Was die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern schon nach dem alten SOG alles machen durfte ...
Bis zum Juni war das SOG ein im bundesdeutschen Vergleich relativ liberales Polizeigesetz. So war u.a. die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen untersagt. Dennoch finden sich auch dort schon schwerwiegende Grundrechtseinschnitte, u.a. der Einsatz Verdeckter ErmittlerInnen, Platzverweise, verdeckte Überwachung und dauerhafte Observationsmaßnahmen.
Im Folgenden geben wir euch einen kurzen Überblick in die bisherigen Regelungen, die auch im aktuellen SOG beibehalten wurden:
[Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, direkt dem Wortlaut des SOG entnommen. Die Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS für ihren Gesetzentwurf ist im vollen Wortlaut unter der Landtagsdrucksache 4/2116 zu finden.]
1. Identitätsfeststellung (§29)
Eine Maßnahme zur Identitätsfestellung ist "zur Abwehr einer im einzelnen Fall bevorstehenden Gefahr" jederzeit möglich. Jede Person ist dann verpflichtet auf Nachfrage die eigene Identität gegenüber der Polizei nachzuweisen (in der Regel durch ein amtliches Ausweisdokument). Was eine "bevorstehende Gefahr" ist, entscheiden die PolizeibeamtInnen eigenmächtig, wodurch die Identitätsfestellung mittlerweile zu einer Routinemaßnahme geworden ist. Insb. an polizeilichen Kontrollstellen, an sog. "gefährdeten Objekten" (festgelegt von den Ordnungsbehörden), in öffentlichen Verkehrmitteln und in bzw. nahe Versorgungseinrichtungen oder Amtsgebäuden sind Identitätsfestellungen dem Gesetz nach möglich. Wer sich nicht ausweisen kann, wird auf die Polizeiwache mitgenommen.
2. Erkennungsdienstliche Behandlung (§31)
Die Erkennungsdienstliche Behandlung von vermeintlichen StraftäterInnen auf der Polizeiwache umfaßt in Mecklenburg-Vorpommern laut SOG: Fingerabdrücke, Hand- und Fußabdrücke, Anfertigung von Fotos, Feststellung und Messung äußerer körperlicher Merkmale sowie Tonaufzeichungen. Routinemäßig werden aber nur Fotos geschossen und Fingerabdrücke abgenommen.
3. Befragungs- und Auskunftspflicht (§28)
Wie auch in anderen Bundesländern sind Personen gegenüber der Polizei auf Nachfrage verpflichtet, lediglich folgende Angaben zu machen: Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit. Nicht mehr! Eine Verweigerung dieser Angaben zieht eine Ordnungswidrigkeit (also ein Bußgeld) nach sich.
4. In-Augenschein-Nahme (§27a)
Personen können jederzeit kurzzeitig angehalten werden, ebenso Fahrzeuge. Dies ist im Grenzgebiet in einer Tiefe bis 30 km ins Binnenland (also zum Beispiel in Heiligendamm oder Rostock) jederzeit möglich, außerhalb dieses Gebietes nur in "Einrichtungen des internationalen Verkehrs mit unmittelbarem Grenzbezug" (zum Beispiel Bahnhöfe, Flughäfen) sowie "zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung" (zum Beispiel Landfriedensbruch, Gefährliche Körperverletzung, schwerer Diebstahl, Betrug).
5. Durchsuchung von Personen (§53-54)
Personen können (außer zur Identitätsfeststellung) auch aus folgenden Gründen durchsucht werden: Sicherstellung von Sachen; "zum Schutz der Person" [sic!]; "zur Eigensicherung des Amtsträgers". Also auch hier ein weites Feld, das die Polizei vor Ort eigentlich immer in ihrem Sinne zu nutzen weiß. Bei der Durchsuchung dürfen Körper, Kleidung, Inhalt der Kleidung und "alle sonstigen am Körper getragenen Sachen" (also zum Beispiel Rucksäcke) durchsucht werden, wobei die jeweilige Durchsuchung nur von Personen gleichen Geschlechts oder ÄrztInnen durchgeführt werden darf. (Es sei denn es liegt "Gefahr in Verzug" vor, dann kann jeder Polizeibeamte die Durchsuchung vornehmen.)
6. Durchsuchung von Sachen (§57-58)
Durchsucht werden dürfen also alle Sachen, die eine Person mit sich führt, Fahrzeuge (bei einer Identitätsfestellung); ferner Sachen, in denen sich evtl. sicherzustellende Sachen befinden könnten; Sachen, in denen sich Personen befinden, die in Gewahrsam zu nehmen sind; sowie alle Sachen, die sich in oder nahe Amtsgebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln oder "gefährdeten Objekten" befinden.
5. Platzverweisung (§52)
Eine lästige Maßnahme, wo die Polizei quasi Narrenfreiheit besitzt, sind Platzverweise. Diese können in Mecklenburg-Vorpommern für einen Ort, für ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder gleich ein ganzes Gemeindegebiet ausgesprochen werden. Platzverweise können bis zu einer Dauer von maximal 10 Wochen ausgesprochen werden (zum Beispiel denkbar beim G8-Gipfel für einen ganzen Ort, wie zum Beispiel Bad Doberan). Der Platzverweis muß nicht schriftlich gegeben werden (was der Polizei zusätzlichen Spielraum bei der Vertreibung unliebsamer Personen gibt). Die einzige Einschränkung: Der Platzverweis darf den Zugang zur eigenen Wohnung nicht behindern. (Was vor Ort wohl nur durch das Vorzeigen des Personalausweises mit der amtlichen Meldeadresse nachgewiesen werden kann.) Bei Nichtbefolgung eines Platzverweises droht Gewahrsamnahme.
6. Gewahrsamnahme (§55-56)
Neben der Durchsetzung von Platzverweisen können Gewahrsamnahmen erfolgen, wenn eine Person sich "erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet" (also zum Beispiel unter Alkoholeinfluß) oder wenn "eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" (was in der Tat weit auslegbar ist) besteht. Eine Gewahrsamnahme kann ebenfalls erfolgen, wenn eine "unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat" verhindert werden soll, u.a. weil die Person "eine Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente [sic!] oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter [sic!] solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung ungeeignet ist". Auch das Mitführen von Waffen (oder was die Polizei dafür hält), Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen, die "zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden", kann zur Gewahrsamnahme führen.
Auch Minderjährige, "die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben" können jederzeit in Gewahrsam genommen werden, um sie "dem Jugendamt zuzuführen".
7. Wohnraumbetretung und Hausdurchsuchung (§59-60)
Zur "Verhütung einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" können auch Wohnraum oder ein befriedetes Grundstück von der Polizei betreten werden.
Für eine Durchsuchung wird natürlich ein richterlicher Durchsuchungsbeschluß benötigt (oder eben das beliebte "Gefahr in Verzug" mit nachträglicher richterlicher Zustimmung).
Bei Durchsuchungen hat der/ die BewohnerIn/ MieterIn das Recht bei der Durchsuchung anwesend zu sein und Durchsuchungsgrund sowie Rechtsbehelfe von der Polizei zu erhalten. Die PolizeibeamtInnen haben eine von ihnen unterschriebene Niederschrift anzufertigen (darin: verantwortliche Behörde, Anlaß, Zeit und Ort der Durchsuchung, anwesende Personen namentlich). Lediglich "auf Verlangen" ist eine Abschrift davon auszuhändigen. Unterschreiben muß mensch selbst dabei nichts, eine Unterschrift kann (und sollte) dort ohne weitere Nachteile verweigert werden.
8. V-Personen, Verdeckte ErmittlerInnen, Observation, verdeckte Überwachung (§33)
In Mecklenburg-Vorpommern ist es der Polizei erlaubt sog. V-Personen (also InformantInnen, bei der Stasi früher als "IM" bezeichnet) zu führen, die gegen Bezahlung (oder andere Vergünstigungen) Informationen aus politischen Bewegungen zutragen. Ebenso können verdeckte ErmittlerInnen (also verdeckt ermittelnde PolizeibeamtInnen) eingesetzt werden, die unter einer Legende (falsche Ausweisdokumente, erfundene Identität) zum Beispiel längerfristig politische Gruppen infiltrieren.
Schließlich ist auch die klassische Observation (also die mehrere Wochen anhaltende Beschattung einer Person durch die Polizei) erlaubt, gleichfalls der Einsatz verdeckter Überwachungstechnik.
9. Einsatzmittel und Bewaffnung der Polizeikräfte (§102)
Polizeiliche "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reizstoffe und Sprengmittel; Sprengmittel dürfen nicht gegen Personen angewandt werden". Insbesondere die chemischen Kampfstoffe CN und CS sowie Pfefferspray sind hier, wie in anderen Bundesländern auch, beim Einsatz gegen Versammlungen erlaubt. "Als Waffen sind nur Schlagstöcke, Pistolen, Revolver, Gewehre und Maschinenpistolen zugelassen." Die übliche Waffe ist dabei der Schlagstock (aber auch Tonfas). Die Ereignisse von Göteburg und Genua 2001 sollten aber klargemacht haben, daß der bürgerliche Staat im Notfall auch vor dem Einsatz von Schußwaffen nicht zurückschreckt.
10. Kennzeichungspflicht für PolizeibeamtInnen (--)
Fehlanzeige, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es bis heute immer noch keine Kennzeichnungspflicht für PolizeibeamtInnen. Damit können Straftaten der Polizei im Einsatz nur schwer einzelnen PolizeibeamtInnen zugeordnet werden. Die Staatsanwaltschaften sollen offenbar nicht mit lästigen Ermittlungsverfahren gegen BerufschlägerInnen belästigt werden.
Und das hat das verschärfte SOG an Neuem zu bieten:
"Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Polizei in erster Linie diejenigen neuen Befugnisse erhalten, auf die sie aufgrund aktueller Entwicklungen im Bereich der Organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus, aber auch im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung Europas zu einem Raum der Freiheit [sic!], der Sicherheit und des Rechts zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nicht länger verzichten kann." [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS] Konkret geht es um die "Schaffung zusätzlicher bzw. die Modifizierung bestehender präventiver [sic!] Eingriffsbefugnisse für die Polizei". [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS ] Als leuchtendes Beispiel wird stets das Hamburger Polizeigesetz angeführt.
11. Videoüberwachung des öffentlichen Raums (§32)
"Öffentlich zugängliche Orte dürfen offen mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung [sprich: Videokameras] beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung [...] erforderlich ist. Darüber hinaus dürfen offen Bilder aufgezeichnet werden, soweit an diesen Orten wiederholt [sprich: mindestens zweimal!] Straftaten [sprich: irgendwelche Straftaten, unabhängig von ihrer Schwere!] begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist." Das ist natürlich ein Freibrief für willkürliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum, wenn schon zwei Straftaten ausreichen, um "so genannte[n] Kriminalitätsschwerpunkte" [Zitat aus der Begründung der SPD/ Linkspartei.PDS] zu definieren. Bisher sind in Mecklenburg-Vorpommern noch keine Installationen von derartigen Videokameras bekannt, aber der G8-Gipfel wird hier sicher zur Forcierung dieses Vorhabens dienen. SPD und Linkspartei.PDS sprechen in ihrer Begründung zum eingebrachten Gesetzentwurf Tacheles: "Die demnächst in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden[den] Veranstaltungen, wie G8-Gipfel mit einem Massenaufkommen an zu schützenden Personen und Veranstaltungen, wie auch die Übertragung von Fußball-WM-Spielen auf Großbildschirmen verlangen das Vorhandensein bestimmter Eingriffsmöglichkeiten für die Gefahrenabwehrbehörden. [...] Erfahrungen mit dem Einsatz von Videotechnik in der Bundesrepublik haben bisher durchweg positive Ergebnisse gezeigt. Schon aufgrund des Abschreckungseffektes [sic!] durch den offenen Einsatz können regelmäßig ein Rückgang der Kriminalität verzeichnet und somit Straftaten verhütet werden. Gleichzeitig wird das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger verbessert." Hier wird tief in die Mottenkiste der "Inneren Sicherheit" gegriffen, obwohl britische Untersuchungen (wo ja Videoüberwachung seit vielen Jahren flächendeckend eingesetzt wird) zu dem Ergebnis kommen, daß weder die Kriminalitätsrate abnimmt noch das subjektive Sicherheitsgefühl der BürgerInnen zunimmt. Dafür nimmt aber die Überwachung immer totalere Formen an und begünstig die soziale und rassistische Ausgrenzung an den überwachten Orten.
12. Automatisches Kfz-Kennzeichen-Lesesystem (AKLS) (§43a)
"Die Polizei kann [...] im öffentlichen Verkehrsraum personenbezogene Daten durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur elektronischen Erkennung von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit dem Fahndungsbestand erheben. [...] Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind." Auch ein verdeckter Einsatz des AKLS ist übrigens zulässig, ebenso ein "Abgleich erhobener Kennzeichendaten mit anderen polizeilichen Dateien". In ihrer Begründung zum Gesetzentwurf heben SPD/ Linkspartei.PDS hervor, daß der Einsatz des AKLS so zu erfolgen habe, "dass betroffene Personen grundsätzlich erkennen können, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist". Soll wohl heißen: Wer dennoch während solcher Anlässe (zum Beispiel G8-Gipfel in Mecklenburg) mit dem PKW unterwegs ist, hat selbst Schuld, wenn er/ sie per AKLS erfaßt wird; er/ sie hätte ja auch zu Hause bleiben oder woanders hinfahren können.
Zur Illustration geben die beiden Parlamentsfraktionen auch gleich ein plastisches Beispiel für die Anwendung des AKLS: "Aufgrund dieser Regelung ist es zum Beispiel möglich, zur Abwehr konkreter Gefahren Kennzeichendaten auf Zubringerstraßen zu einem Fußballstadion mittels AKLS zu erheben und einen Abgleich mit der Datei "Gewalttäter Sport" vorzunehmen, wenn mit der Anreise von so genannten Hooligans zu rechnen ist." Wir können ja spaßeshalber mal "Fußballstadion" durch "Anti-Globalisierungscamp" ersetzen und statt der Datei "Gewalttäter Sport" die Datei "Gewalttäter Links" einsetzen (in welche mensch übrigens schon aufgrund "polizeilicher Erkenntnisse" geraten kann, also ohne jemals einer Straf- geschweige denn einer Gewalttat beschuldigt worden zu sein). Dann kann mensch sich ausmalen, was uns 2007 beim G8 erwarten dürfte.
Momentan besitzt das Land Mecklenburg-Vorpommern nur ein AKLS-Gerät, aber im Zuge der Amtshilfe werden zum G8 sicher andere Bundesländer, allen voran Hamburg, mit entsprechender Technik aushelfen.
13. Präventive Telekommunikationsüberwachung (§34a)
Bei dieser Art von Telekommunikationsüberwachung geht es nicht mehr um die konkrete Verfolgung von Straftaten, sondern um das rein präventive Überwachen. Die Datenerhebung kann sich auf "Inhalte der Telekommunikation einschließlich der innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte" (also sowohl Gesprächinhalte/ Textnachrichten als auch Telefon-Mailboxen bzw. gespeicherte eMails/ SMS), auf die Telekommunikationsverbindungsdaten sowie "die Standorterkennung einer Mobilfunkendeinrichtung" beziehen. Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern hat nun die Möglichkeit auch sog. IMSI-Catcher zu benutzen. (IMSI = International Mobile Subscriber Identity) Diese mobilen IMSI-Catcher simulieren eine Mobilfunkzelle in einem Bereich (zum Beispiel einem Ort), über die dann sämtlicher Handyverkehr fließt. Die Polizei kann so die Gerätenummer, die SIM-Kartennummer, die einwählende Rufnummer, die angewählte Telefonnummer und Gesprächsdauer ermitteln und speichern. Mittels der unveränderlichen Gerätenummer bei Handys und der ebenfalls eineindeutigen SIM-Nummer bei Mobilfunkkarten lassen sich so konkret Mobilfunkgespräche Personen zuordnen. Über die Auskunftspflicht der Telekommunikationsdiensteanbieter sind der Polizei darüber hinaus alle Verbindungsdaten der letzten Monate einer ermittelten Rufnummer zugänglich.
Mittels IMSI-Catchern kann aber auch der Handy-Verkehr in dessen "Mobilfunkzellenbereich" unterbunden werden; derartige Funknetzunterbrechungen soll u.a. der Bundesgrenzschutz schon bei CASTOR-Transporten im Wendland eingesetzt haben, um Kommunikation (zum Beispiel aus Polizeikesseln heraus) zu unterbinden.
Aber auch ohne IMSI-Catcher läßt sich bei Mobiltelefonen der Standort der NutzerInnen kinderleicht ermitteln. Denn solange ein Mobiltelefon eingeschaltet ist (also auch im Standby-Modus!) kann die Polizei jederzeit über sog. "stille SMS" ermitteln, wo sich das Handy befindet. "Stille SMS" sind kurze Leer-SMS, die das Mobiltelefon zwar empfängt, den NutzerInnen aber nicht als Meldung anzeigt. Der einzig sichere Schutz vor Handyüberwachung bleibt weiterhin, das Gerät auszuschalten und Akku sowie SIM-Karte zu entfernen, am besten schon, bevor eine neue Funkzelle betreten wird. So kann die Polizei nur den letzten Standort ermitteln, also den Ort, wo das Handy zuletzt eingeschaltet war.
Jede und jeder sollte daher realtistisch prüfen, ob und wie er/ sie Mobiltelefon, Festnetztelefon oder auch den eMail-Verkehr nutzt/ zukünftig nutzen will. Denn Überwachung durch die Polizei ist mittlerweile technisch in Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch rechtlich überall möglich. Während sich beim eMail-Verkehr in linken Kreisen langsam auch pgp (pretty good privacy) als Verschlüsselungsprogramm durchsetzt, bleiben beim Mobiltelefonieren nur die beide Extreme des Nichtmehr-Telefonierens und des "Jeder-kann-sowieso-Mithören"-Telefonierens. Die meisten werden aber einen Mittelweg gehen: bei politischen Inhalten oder Terminabsprachen wird eher mal auf die Handynutzung verzichtet.
Begründet werden diese massiven Eingriffe in die Telekommunikation übrigens lediglich mit "der Tatsache, dass zur Vorbereitung bzw. Durchführung terroristischer Anschläge bzw. im Bereich der Organisierten Kriminalität zunehmend Mobiltelefone genutzt werden". [aus der Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS]
14. Ausweitung der Rasterfahndung (§44)
Bisher mußte bei der Rasterfahndung eine "gegenwärtige Gefahr" vorhanden sein. Im neuen §44 wird an ihrer Stelle die "erhebliche Gefahr" eingeführt. Das hat für die Polizei den Vorteil, daß sie schon präventiv rastern kann, also bevor überhaupt ein konkreter Anlaß dazu besteht. Als "erhebliche Gefahr" reicht (wie oben beschrieben) schon ein einfaches Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs aus. Der neue Paragraph lautet jetzt: "Die Polizei kann Behörden, anderen öffentlichen Stellen und von Stellen außerhalb der öffentlichen Verwaltung zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung [...] die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen (Rasterfahndung), wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr oder zur Bekämpfung der Straftaten erforderlich ist."
Nicht um lebensnahe Beispiele verlegen, beschrieben die Einbringerinnen der Gesetzesänderung folgenden potentiellen Fall: "In zunehmendem Maße wird des Weiteren das Internet zur Begehung von Straftaten genutzt. Dabei werden u. a. über so genannte Internet-Auktionshäuser, wie zum Beispiel ebay, aus Straftaten herrührende Gegenstände zum Kauf angeboten. Gezielte Datenabgleiche ermöglichen in diesen Fällen die Feststellung von Tatzusammenhängen und die Eingrenzung des Kreises von Tatverdächtigen sowie deren Ermittlung und damit auch die Verhinderung weiterer Straftaten." Rastern beim Ebay-Einkauf, eins-zwei-drei-meins ...
15. Zwangsweise Blutabnahme (§53, 4)
"Diese Vorschrift soll dem Schutz von Opfern von Gewalttaten, von Polizeibeamten und anderen Berufsgruppen dienen, die mit Personen in Kontakt gekommen sind, bei denen beispielsweise der Verdacht auf Aids oder Hepatitis besteht. Eine Infektion ist kurze Zeit nach dem Kontakt zwischen Verursacher und Opfer gerade bei den o.g. schweren Viruserkrankungen beim Opfer noch nicht nachweisbar. [...] Für diese körperliche Untersuchung (Blutentnahme) ist grundsätzlich eine richterliche Anordnung erforderlich, bei Gefahr im Verzug darf die Anordnung durch die Polizei erfolgen." [aus der Begründung von SPD/ Linkspartei.PDS] Die Blutentnahme darf explizit auch gegen den Willen des/ der BetroffeneN entnommen werden. Da mit dem Gesetz eine "unverzügliche Blutentnahme" angestrebt wird, wird im Normalfall wohl auch auf die richterliche Anordnung gänzlich verzichtet werden und die Polizei eigenmächtig derartiges anordnen. Angewendet werden soll (so die Begründung von SPD und Linkspartei.PDS) die Blutentnahme konsequent u.a. bei Stich- und Schnittverletzungen, bei Bißverletzungen und überall dort, wo Körperflüssigkeiten im Spiel sind (also zum Beispiel auch ein von Polizeiknüppeln blutig geschlagener Demonstrant).
In der Begründung heißt es gutmenschelnd: "Körperliche Untersuchungseingriffe, auch ohne oder gegen den Willen des Betroffenen, können im Einzelfall zum Schutz von Leib und Leben und damit zu dessen Rettung [sic!], zum Beispiel bei einer konkreten Vergiftungsgefahr durch verschluckte Drogenbehältnisse, erforderlich werden." Der eigentliche Zweck, nämlich die Sammlung neuer Einträge für die bundesweite DNA-Datenbank, wird in den öffentlichen Verlautbarungen gerne verschwiegen. Daß hier persönlichste Daten frei kursieren sollen, fordern unverblümt die SPD und Linkspartei.PDS im Landtag in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird von der "Möglichkeit, einen direkten Hinweis auf die konkrete übertragbare Krankheit" in die bundesweiten Personendatensätze der INPOL-Datei (ein Datenverbundsystem des BKA, der Bundespolizei und der der Länderpolizeien) aufzunehmen. "Darüber hinaus kann der Hinweis "Ansteckungsgefahr" [in den jeweiligen personenbezogenen Daten in INPOL] Einsatzkräfte warnen und weitere Infektionsgefahren vermeiden." Soziale Ausgrenzung per Polizeidatensatz, persönliche Krankheitsdaten, die bundesweit jede Polizeidienststelle abrufen kann ... George Orwell würde sich gruseln.
16. Videoaufzeichungen in Polizeifahrzeugen zwecks "Eigensicherung" (§32, 4)
"Die Polizei kann zur Eigensicherung bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen Bildaufnahmen und -aufzeichnungen durch den Einsatz optisch-technischer Mittel in oder an Fahrzeugen der Polizei herstellen. [...] Die Bildaufzeichnungen sind unverzüglich, spätestens am Ende der Dienstschicht, zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Aufzeichnungen zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden." Konkret heißt das: Bei Kontrollen wird mensch ausnahmslos abgefilmt. Es läßt sich übrigens leicht erraten, was passiert, wenn es bei einer solchen Kontrolle zu Straftaten seitens der PolizeibeamtInnen kommen sollte: am Ende der Dienstschicht wird das Video einfach gelöscht, damit keine bösen Bilder à la Rodney King publik werden.
Fazit: Trendwende nicht in Sicht
Wie diese neuen polizeilichen Möglichkeiten tatsächlich in der Praxis genutzt werden, werden die folgenden Monate zeigen. Festzuhalten bleibt, daß auch im verschlafenen Mecklenburg-Vorpommern unter der rot-roten Landesregierung eine rapide Verpolizeilichung stattgefunden hat. Solange sich nicht nennenswerter öffentlicher Protest in diesem Bundesland gegen das eingesessene law-and-order-Denken und für Grund- und Freiheitsrechte formiert, wird sich dieser Trend leider fortsetzen. Wir wollen als Rote Hilfe Greifswald jedenfalls unseren kleinen Beitrag dazu leisten, daß sich dieses gesellschaftliche Klima ändert.
Das wichtigste ist und bleibt, auch unter den neuen "Kampfbedingungen" nicht vom Protest und Widerstand gegen die Herrschenden abzulassen, sondern immer wieder zu zeigen, daß Ausbeutung und Repression niemals widerstandslos hingenommen wurden!
In diesem Sinne: Nicht Müsli und Quark Solidarität macht stark!
Rote Hilfe e. V. Greifswald

